Freitag, 26. April 2013

"Auf ins Land der Marteniza"

Reiseeindrücke der MitarbeiterInnen des Lernmobil von ihrer Reise ins Tal der Klöster nach Asinovgrad, Bulgarien

 

Wer kennt hier die Marteniza, jene rot/weiß geknüpften Bänder, die am 1. März geknüpft werden von großen und kleinen Menschen in Bulgarien und so lange am Arm bleiben, bis die Person den ersten Storch, die ersten Blüten gesehen hat, längstens bis zum 1. April. Es waren diese und ähnliche Geschichten, die uns neugierig auf dieses Land Bulgarien gemacht hatten.  Geschichten, die uns Menschen aus Bulgarien, die an  unseren Sprachkursen teilnehmen, Eltern , die Kinder in einer unserer Einrichtungen haben, Menschen, die KollegInnen sind, erzählt haben. So war die Osterzeit die richtige Zeit, in dieses für uns so unbekannte Land zu reisen.

 

Wir machten uns auf den Weg, um die Heimat von den Menschen näher kennenzulernen, die zunehmend neu nach Viernheim einwandern und so auch Kundinnen des Vereins Lernmobil sind: Menschen aus Bulgarien. Interessant ist auch, dass viele der Menschen, die von Bulgarien hierher kommen, der türkischen Minderheit dort angehören. Deshalb war auch die Frage für uns interessant, welche Rolle spielen die unterschiedlichen Kulturen in Bulgarien? Neben der türkisch-stämmigen Bevölkerung stellt die Gruppe der Roma eine weitere Minderheit dar. Uns interessierte auch die Frage, wie werden Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, gefördert?

Eine Mitarbeiterin des Vereins Lernmobil kommt aus Asenovgrad, einer Stadt am Fuße der Rodopen, 15 km entfernt von Plovdiv, der zweitgrößten Stadt Bulgariens. Sie selbst ist Angehörige der türkischstämmigen Minderheit. Sie organisierte für uns diese private Reise.

Wir wurden  am ersten Tag vom Bürgermeister der Stadt, Herrn Alidjik, begrüßt.

Der Bürgermeister berichtete über die Arbeitsstruktur in Asenovgrad. Schwerpunkt der Arbeitsstruktur ist der Weinbau, die Textilindustrie,  der Brautmodensektor und der beginnende Tourismus. So wurde von der EU das Projekt „Klein Jerusalem" gefördert, mit dessen Geldern die Restaurierung von 5 Klöstern ermöglicht wurde. Die Stadt erhofft sich einen Ausbau des Tourismus.  Die Bevölkerungszahl ist in den letzten Jahren gleich geblieben, die hohe Zahl der Abwanderungen ist durch die Zuwanderung von Menschen aus entlegenen Regionen ausgeglichen worden.

 

Am Nachmittag stand auf dem Besichtigungsprogramm entsprechend dem Schwerpunkt der Region mit seiner großen Anzahl von Klöstern die Besichtigung des Klosters Backovo. Das Kloster ist das zweitgrößte in Bulgarien, seine Gründung geht auf das Jahr 1083 zurück. Sehenswert sind die Fresken im Innern der Kirche.

Im Anschluss wurde das Wahrzeichen der Stadt, die Festung der Asen, besichtigt. Die Festung liegt wie ein Adlernest über der Stadt. Hier hat man einen wunderschönen Blick auf die Täler der Rodopen.

Am zweiten Tag besuchten wir eine Kindertagestätte  in einem Dorf in der Nähe von Asenovgrad, die vor allem von Kindern der Minderheit der Roma besucht wird. Wir waren zunächst erstaunt, dass eine Psychologin die Einrichtung leitet. Sie erklärte uns, dass dies in Bulgarien nicht ungewöhnlich sei. So gibt es auch keinen Unterschied zwischen der Ausbildung einer Lehrerin und einer Erzieherin, beide haben die gleiche Ausbildung und können in beiden Bereichen arbeiten und verdienen das Gleiche.

Der Kindergarten bestand aus zwei Räumen, die über fast kein Spielzeug verfügten und ganz spärlich ausgestattet waren. Es gab auch nichts im Außenbereich, mit dem die Kinder spielen konnten.

Bemerkenswert war, dass in der Kindertagesstätte eine Krankenschwester mitarbeitet, die für die Gesundheit der Kinder verantwortlich ist, sicher eine wichtige Aufgabe, da es keinen Arzt in der näheren Umgebung gab. Weiterhin arbeitet in der Einrichtung eine Köchin, die nach einem zentral vorgegebenen Kochplan die Mahlzeiten vorbereitet. So will der Staat sicher gehen, dass die Kinder eine ausgewogene Ernährung erhalten. Sicher eine wichtige präventive Gesundheitsmaßnahme, die  in deutschen Schulen und Kindertagesstätten  auch wünschenswert wäre. Die Leitung berichtete uns auch, dass es vielen Familien schwer fällt, den Betrag von umgerechnet 12 € zu zahlen, der monatlich für Ernährung und Betreuung fällig wird. Viele der Roma-Familien arbeiten auf einer nahe gelegenen Hühnerfarm bzw. auf dem Acker und verfügen über sehr wenig Geld.

 

Die meisten der Kinder in dieser Kindertagesstätte sprechen kein Bulgarisch, wenn sie in den Kindergarten kommen, deshalb gibt es ein stattliches Sprachförderprogramm, mit dem sie ab dem dritten Lebensjahr gefördert werden. Die Leitung meinte, dass sie bei Schuleintritt über dieselben bulgarischen Sprachkenntnisse verfügen wie bulgarisch-stämmige Kinder. Jedoch machen sie keine vergleichbaren Abschlüsse, da sie die Schule oft früh verlassen, um arbeiten zu gehen.

Wie bei allen unseren Besuchen wurden wir sehr herzlich willkommen geheißen, uns zu ehren wurde gebacken. Wir wurden immer mit Brot und Salz begrüßt, was eigentlich hohen Gästen als Ehrerbietung vorbehalten ist.

 

Wir haben noch eine weitere Schule und eine Kindertagestätte besucht, beide auch mit einem hohen Einzugsgebiet von Roma-Familien. Der Direktor der Schule freute sich auch sehr über unser Interesse, da nicht viele Menschen sich für seine Schule interessieren würden. Die Schule, in der auch die höheren Klassen bis zum bulgarischen Abitur unterrichtet wurden, verfügte über keine Fachräume, das einzige, was für den Chemieunterricht zur Verfügung stand, war eine Periodentafel. Sport kann nur in der warmen Jahreszeit, draußen durchgeführt werden, die Zimmer verfügten auch nur über einen kleinen Holzofen. Der Direktor machte einen  sehr engagierten Eindruck. Ihm war es gelungen, ein kleines EU-Projekt an Land zu ziehen, das die verschiedenen Kulturen Bulgariens zum Gegenstand hatte. In einer kleinen Ausstellung konnten wir dies besichtigen. Er bedauerte sehr, dass dieses Projekt wieder ausgelaufen war. Was er auch beklagte war, dass er über keinerlei Fachräume verfügte und nur ganz wenige absolut veraltete PCs seinen Schülern zur Verfügung stellen konnte. Er bat uns, falls es eine Möglichkeit in Deutschland gäbe PCs zu spenden, wir an seine Schule denken sollten.

In dem angrenzenden Kindergarten wurden wir mit einem Frühlingsfest begrüßt. In Gedichten und Liedern wurde der Winter vertrieben und der Frühling begrüßt.

Die Leitung und Mitarbeiterinnen wünschten sich auch verstärkte Unterstützung in der Förderung der Kinder und in der Ausstattung.

Bei einem Besuch der DPS – Partei für Freiheit und Rechte in Plovdiv informierten wir uns insbesondere über die Neugründung der Frauenorganisation. Die türkische Minderheit bildet gemeinsam mit anderen muslimischen Minderheiten  wie den Pomaken sowie Roma den Kern ihrer Wählerschaft.

Die Frauenorganisation bereitete gerade ein regionales Kulturfest für Kinder vor. Bei einem Wettstreit in unterschiedlichen Bereichen Kunst, Tanz, Vorlesen etc. sollten die Kinder die Vielfalt ihrer Fähigkeiten darstellen und sich mit den kulturellen Wurzeln ihrer Familien auseinandersetzen. Die Frauenorganisation ist auch dabei, Beschäftigungsprojekte zu organisieren, um Frauen wenigstens die Möglichkeit zu einem Zuverdienst zu geben. In einer offenen Sprechstunde kommen Frauen mit den unterschiedlichsten Anliegen.

Zum Abschluss besuchten wir die Altstadt von Plovdiv. Plovdiv an der Straße zwischen Istanbul und Sofia gelegen war schon im Mittelalter ein wichtiges Handelszentrum. Besonders beeindruckt haben uns die Wiedergeburtshäuser aus der bulgarischen Renaissance, osmanische Häuser, die große Moschee, das Amphitheater, all dies Zeugen einer wechselvollen Geschichte. Neben all diesen besonderen Baudenkmälern, gewundenen Straßen auf drei Hügeln gab es auch Geschäfte, denen wir nicht widerstehen konnten.

 

Der Verein Lernmobil e .V. möchte die Kontakte erhalten und vertiefen. So ist geplant, dass wir im Herbst im Kunstbereich eine gemeinsame Aktion in dem Kindergarten durchführen: Unsere Werkstattpädagogin wird mit den Mitarbeiterinnen dort Kunst aus Naturmaterialien gestalten und sie wird die bulgarische Handwerkskunst von ihnen lernen.  Des Weiteren möchten wir gerne für den Außenbereich Sportgeräte beiden Kindergärten zur Verfügung stellen.

Im Bereich der Sprachförderung möchten wir auch im Austausch bleiben.